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Aus: Ausgabe vom 02.02.2024, Seite 8 / Ansichten

Uneindeutiger Sieg

EU-Sondergipfel zu Ukraine-Hilfen
Von Jörg Kronauer
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Die Entscheidungen der EU sind bei der Bevölkerung nicht immer beliebt: Polizisten bei Bauernprotest in Brüssel am Donnerstag

Triumph über Viktor Orbán! Das war die Botschaft, die die EU nach ihrem Sondergipfel am Donnerstag verbreitete. Wochen-, ja monatelang hatte Ungarns Ministerpräsident sich geweigert, das 50 Milliarden Euro schwere Hilfspaket für die Ukraine abzusegnen. Noch am Mittwoch hatte er gefordert, die EU solle einmal im Jahr über die Verlängerung des auf vier Jahre angelegten Programms abstimmen – eine Bedingung, die für Brüssel nicht in Frage kam. Und was beschloss der Sondergipfel nun? Kiew erhält das Geld ohne Einschränkung, Orbán musste nachgeben, knickte vor der EU ein.

Triumph also? Nun, man muss nicht gleich von einem Pyrrhussieg reden, um zu realisieren, dass die EU aus ihrem Zwist mit Orbán durchaus Blessuren davongetragen hat. Da wäre zum einen die Erkenntnis, dass die Brüche in der Union bleiben. Orbán hat im Fall des Ukraine-Pakets taktisch nachgegeben, seine Politik aber ganz allgemein kein bisschen geändert. Außenpolitisch beginnen die Treffen der Staats- und Regierungschefs ein wenig an den US-Kongress zu erinnern: Man weiß, dass es in bestimmten wichtigen Fragen keine Einigkeit mehr gibt und Blockaden nicht auszuschließen sind.

Dann wäre da noch die Sache mit dem kühl kalkulierten Erpressungsversuch, den die Financial Times am Wochenende durchgestochen hat. Unterlagen aus dem Europäischen Rat zeigten, berichtete die Zeitung, wie Brüssel auf eine fortgesetzte Blockade des Hilfspakets durch Orbán zu reagieren gedenke: Die Staats- und Regierungschefs würden öffentlich einen Ausschluss Ungarns von sämtlichen EU-Transferzahlungen fordern; das werde einen Schock auf den Finanzmärkten hervorrufen, den Forint abstürzen lassen, Investoren aus dem Land treiben. Die Lehre: Wer nicht pariert, muss bluten. Das Problem: Machtdemonstrationen wie diese sind vielleicht geeignet, kurzfristig ein Einlenken zu erzwingen. Langfristig befeuern sie Widerstand.

Der aber ist unter den gegenwärtigen Verhältnissen Wasser auf Orbáns Mühlen. Am Abend vor dem Sondergipfel traf Ungarns Ministerpräsident in Brüssel protestierende Bauern, hielt einen Plausch mit ihnen, schüttelte Hände, ließ sich dabei filmen, postete das Ergebnis auf Twitter. Es sei »das Problem Nummer eins«, dass »die Stimme der Leute auf der Straße« von der politischen Spitze »nicht ernstgenommen« werde, erklärte er – egal, ob es um den Krieg, die Ukraine oder auch die Migration gehe. Und hat denn der EU-Sondergipfel, auf dem Kiew Dutzende Milliarden versprochen wurden, während der nächste Sozialkahlschlag gestartet wurde, nicht genau das gezeigt?

Trifft ein Bericht des Onlineportals Euractiv zu, dann haben die Staats- und Regierungschefs Orbán als Gegenleistung zusagen müssen, dass einmal pro Jahr offiziell eine Debatte über die Milliardenhilfen für die Ukraine geführt wird – auch dann also, wenn in einem, zwei oder drei Jahren die Unterstützung für Kiew weiter an Popularität verloren hat. Dass Orbán gegen das Hilfspaket aufgetreten ist, wird dann nicht vergessen sein – zu seinem Vorteil.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (2. Februar 2024 um 10:56 Uhr)
    Nach seiner Erklärung in den ungarischen Medien hat Viktor Orbán folgende Vereinbarungen in Brüssel erreicht: Die bereitgestellten fünfzig Milliarden dürfen nicht für Kriegs- und Waffengeschäfte verwendet werden, sondern ausschließlich zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Ukraine dienen. Darüber hinaus wird jährlich überprüft und darüber debattiert, wie die Ukraine mit diesen Mitteln wirtschaftet. Orbán erhielt zudem die Zusicherung, dass die von Ungarn zurückgehaltenen EU-Geldleistungen nicht in Zusammenhang mit diesen fünfzig Milliarden stehen. Leider konnte er jedoch nicht durchsetzen, dass die EU-Finanzhilfen an eine Feuerpause und Friedensverhandlungen geknüpft werden.
    • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (2. Februar 2024 um 12:22 Uhr)
      »Nach seiner Erklärung in den ungarischen Medien hat Viktor Orbán folgende Vereinbarungen in Brüssel erreicht: Die bereitgestellten fünfzig Milliarden dürfen nicht für Kriegs- und Waffengeschäfte verwendet werden, sondern ausschließlich zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Ukraine dienen.« Orbán hat da gar nichts erreicht, denn mit diesem Roßtäuschertrick wird propagandistisch schon seit Beginn des Ukraine-Krieges verfahren. Waffen werden geliefert, das ja, aber Geld angeblich nur zur Funktionsfähigkeit der Ukraine bereitgestellt. Die Ukraine spart dann ihrerseits ihre 50 Milliarden für die Funktionsfähigkeit, die sie ja für diese Zwecke hätte einsetzen müssen und kauft dann von eigenem Geld die Waffen, was sie sonst nicht könnte. Die EU gibt also indirekt doch das Geld immer für die Waffen, kann es so aber abstreiten. Sollte jedoch jemand behaupten, die Ukraine sei nicht lebensfähig und würde am Tropf der EU hängen, behauptet man, die Ukraine könne sich vollkommen allein selbst versorgen, man würde sie ja nur bei den Waffen unterstützen. Beide Argumente – wie es die Diskussion gerade erfordert.
      • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (2. Februar 2024 um 12:44 Uhr)
        Lieber Fredi, sicher sind wir uns einig, dass die Ukraine bankrott ist. Allein kann sie weder ihren Alltag noch den Krieg finanzieren. Ich habe lediglich über das berichtet, was Orbán behauptet hat, ohne ihn verteidigen zu wollen. Hierzu siehe noch meine Meinung über die EU-Demokratie: »Meinungsstreit ist zweifellos ein integraler Bestandteil der europäischen demokratischen Kultur; jedoch gehört es ebenfalls zur Demokratie, über den Sinn der Sache zu debattieren. Vielleicht sollte der Steuerzahler auch einmal hinterfragen, ob diese fünfzig Milliarden genauso erfolglos im korrupten Land der Ukraine versickern werden wie die bisherigen Finanzmittel. Darüber wird jedoch kaum gesprochen, geschweige denn informiert. Das entspricht nicht genug demokratischen Prinzipien!«

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